Texte und Impressionen
Rhythmus und Klang in der Therapie
Samstag, 08. Mai 2021 - 12:48 Uhr
Klang und Rhythmus sind für uns elementare „Erlebnisdimensionen“. Schon als noch
nichtgeborenes Kind im Mutterleib erfahren wir Klang als Schwingung im frühesten Stadium
unseres Daseins. Ruhe, Geborgenheit, Spannung, Streß vermitteln sich uns als Schwingungserleben.
Wir erfahren sie als eine Qualität von Harmonie oder Disharmonie, Geborgenheit,
Einssein, Gleichgewicht, Wohl-Sein, Drin-Sein oder Bedrohung, Störung, Ungleichgewicht,
Unwohl-Sein,... . Die Stimmung der uns umgebenden „Außenwelt“ erleben wir als
Schwingung. Und Schwingung ist das Wesen von Klang.
Während Schwingung zeitlos und strukturlos, umfassend ist, begegnet uns im Rhythmus die
Qualität der Begrenzung, der Zeit und Struktur. Es gibt Wiederholung, Unter-brechung, und Kontinuität, das Da-Sein und das Nichts. Während sich im Klang die Qualität der Ungeschiedenheit offenbart, begegnet uns im Rhythmus die Trennung, die Zweiheit, der
Klang und die Pause, Das Ich und das Du, der Dialog.
Die therapeutische Arbeit mit Klang und Rhythmus greift diese elementare Erfahrung auf. In ihr kommen unterschiedliche monotone Klang- und monochrome Rhythmusarchetypen zum Einsatz. (Vgl. Strobel, W.: Die Klanggeleitete Trance in der Psychotherapie, S. 99-143; in:Reader Musiktherapie. Klanggeleitet Trance, musiktherapeutische Fallsupervision und andere Beiträge. Wiesbaden 1999)
Der Begriff der Archetypen geht auf die Erfahrung ein, das bestimmte Klänge und
Rhythmen mit bestimmten menschlichen Grunderfahrungen korrespondieren. Wolfgang
Strobel, Sabine Rittner u.a. haben in jahrelanger Arbeit im klinischen Kontext, in der Einzelund Gruppentherapie und in vielen Weiterbildungsgruppen Wesentliches zur Erforschung
dieser Rhythmus- und Klangarchetypen beigetragen. Neben der Erfahrung am „eigenen
Leibe und der eigenen Seele“, die ich immer wieder vertiefe, habe ich selbst im klinischen
Kontext, in der Einzelbegleitung, in freier Praxis und in Selbsterfahrungsworkshops und
Weiterbildungen, die ich durchgeführt habe immer wieder die heilsame Kraft dieser Arbeit
erfahren können. Dabei ist es für mich faszinierend, wie ich diese Arbeit in unterschiedliche
methodische Zugänge und Arbeitsweisen integrieren kann. So kann die Arbeit mit Klang und
Rhythmus gestalt- oder orientierungsanalytische Prozesse erweitern und vertiefen. Als
besonders wirkungsvoll und hilfreich erlebe ich die Integration von Klang und Rhythmus in
spirituelle/religiöse Prozesse. Die Arbeit mit Klang und Rhythmus kann hier eine
Erlebnistiefe und –dichte ermöglichen, die sonst nur über tiefe Atem- und Körperprozesse,
besonders wirkungsvolle Meditationstechniken oder Drogen möglich ist.
Im Folgenden werde ich einige Klangarchetypen vorstellen, auf die Wurzeln dieser „Arbeit“
eingehen und an Praxisbeispielen Anwendungsmöglichkeiten aufzeigen.
Ursprünge
Rhythmus und Klang sind vielleicht eine der ursprünglichsten therapeutischen Heilmittel in
der menschlichen Entwicklung. Noch heute erleben wir sie in der Arbeit von Schamanen in
allen Kulturen. Mit ihrem monochromen Rhythmus führen Trommel und Rassel durch
Initiationsriten, durch Heilungsrituale für den Kosmos und die Erde, für die Gemeinschaft und
für den Einzelnen. Die Stimme unterstützt den Rhythmus häufig durch einen monotonen
Singsang. Gesundheit bedeutet den Kreislauf von Geburt, Leben und Sterben
aufrechtzuerhalten, den Kreislauf von Loslassen, Sterben und Neuwerden. Der Schamane ist
Priester, Medizinfrau, Musiker und Theaterspieler in einer Person. Er inszeniert das
kosmische Drama immer wieder neu. Um ähnliche Prozesse geht es in den Ritualen und
Feiern der Religionen. Die Hörner, Klangschalen und Mantras in Tibet, Gongs in China und
anderen asiatischen Kulturen, das Didgeridoo und die Klanghölzer der Aborigines, die
Glocken und Orgeln, der Gesang und der Weihrauch in unseren Kirchen.
In der Aufbruchsbewegung der sechziger und siebziger Jahre, mit ihrer Suche nach Sinn und
spiritueller Erfahrung tauchten Klang und Rhythmus in neuer elektronischer Form als das
Fahrzeug auf, das in neue Bewußtseins- und Erfahrungsräume trägt. Rockgruppen wie
Gratefull Dead, Pink Floyd schufen den psychedelischen Sound, der verbunden mit Haschisch
oder LSD die Reise in die andere Wirklichkeit ermöglicht. Timothy Leary experimentierte
erst im Auftrag der US Regierung mit LSD in der Resozialisierung Strafgefangener und
wurde, als er zum allgemeinen Gebrauch von LSD als bewusstseinserweiternder Droge
aufrief, „exkommuniziert“. Vieles davon findet sich in der heutigen Techno und Raver Szene
wieder.
Fast zur gleichen Zeit forschte Stanislaw Grof in der Therapie von psychotisch erkrankten
Menschen mit LSD mit zum Teil frappierendem Erfolgen. Die Tabuisierung und das Verbot
von LSD und anderen Drogen führte zur Entwicklung neuer tranceinduzierender Wege, wie
dem holotropen Atmen, das verbunden mit dem Einsatz von Musik ähnliche Erfahrungen
vermittelt wie psychedelische Drogen.
Parallel zu dieser Entwicklung kam es, nicht zuletzt durch die Bücher von Carlos Castaneda,
zu einer Wiederentdeckung des Schamanismus in den westlichen Industriegesellschaften.
Erfahrungen mit indianischen Heilern und Schamanen anderer Kulturen wurden in der
Ethnomedizin aufgegriffen und systematisch erforscht. Entscheidend dabei war die
Abwendung vom objektivierenden, beobachtenden Standpunkt des Forschers, hin zur
teilnehmenden Beobachtung. Der Forscher ging selbst auf die schamanische Reise und
erlernte die tranceinduzierenden Techniken und ihre Wirkweise. So hat in Deutschland der
Neurologe, Psychoanalytiker und Musiktherapeut Wolfgang Strobel seinen Ansatz der Klang
und Rhythmus geleiteten Trance entwickelt. Wichtigste Instrumente in dieser Arbeit sind
archaische Instrumente wie die Schamanentrommel, Rassel, das Didgeridoo, Klangschalen,
der chinesische Gong, Schwirrholz, die Ocean Drum und das Monochord, mit ihren
monotonen Klängen und monochrome Rhythmen. Entscheidend dabei ist das jeder dieser
Klänge und Rhythmen einen eigenen Klangarchetyp mit einem spezifischen Erlebnisraum
aktualisiert.
Trance
Während der Klang oder Rhythmus das Fahrzeug ist, das die Reise in die „andere
Wirklichkeit“ ermöglicht, bezeichnet die Trance eine veränderte Art und Weise der
Wahrnehmung, des Erlebens und des Bewusstseins. Wir erleben immer wieder veränderte
Bewusstseinszustände, die sich gegenüber unserem Alltagsbewusstsein unterscheiden. Schlaf,
Traum, Verliebtheit ...sie alle haben eigene Erlebens- und Bewußtseinsqualitäten. An der
Universität Wien wurden in Versuchsreihen EEG Messungen an der Großhirnrinde zu Schlaf,
Hypnose, Trance und Meditation durchgeführt. Die Kurven der Messungen machten einen
ganz deutlichen Unterschied zwischen diesen Zuständen deutlich. Während sich die Kurven
von Schlaf, Meditation und Hypnose in ihrer abfallenden Bewegung glichen, zeichnete die
Messung der Trance eine aufsteigende Linie. Wichtig ist dieses Ergebnis für die
Unterscheidung zwischen Trance und Hypnose, die oft gleichgesetzt werden. Während die
Hypnose einen extrem tiefenentspannten Wachzustand bezeichnet, der sich durch seine
Einengung auf wenige Bewusstseinsinhalte auszeichnet, gibt es in der Trance zwei scheinbar
gegenläufiger Bewegungen: die intensive akustische Stimulation führt einen Zustand herbei
der als „wacher als hellwach“ zu beschreiben ist, gleichzeitig aber das unerwartete Auftreten
langsamer Thetawellen, wie sie sonst nur aus tieferen Schlafstadien bekannt sind, zur Folge
hat. Innerhalb der Thetaphasen traten gehäuft Perioden auf, in denen die Personen besonders
eindrucksvolle Inhalte erlebt hatten. Es kommt in der Trance zu einer erhöhten Ausschüttung
von Neurotransmittern, die das Erleben in der Trance fördern und „vergessene“
Nervenleitungen und Schaltungen im Mittel- und Stammhirn aktivieren, die den Zugang zu
Informationen ermöglichen, die uns nicht mehr bewusst sind. Die erhöhte Ausschüttung von
Endorphinen hat darüber hinaus ein erhöhtes Wohlgefühl bis hin zu tiefen Glücksgefühlen zur
Folge. Neben einer Stärkung des allgemeinen Wohlbefindens kann so die Arbeit mit der
Klanggeleiteten Trance uns in besonders wirkungsvoller Weise an unseren Ressourcen
anschließen Kraft und Energie in uns wecken.
Klangarchetypen
Als symbolische Gestalt beginnt Musik da, wo die Sprache mit ihren Möglichkeiten endet.
Sprache (Alltagssprache im Gegensatz zu Poesie) ist Ausdruck des Bewußtseins und schafft
Kontakt zur Realität. Musik wächst über die Realität hinaus, schafft den Kontakt zum Unbewußten, noch nicht Bewußten in eine Dimension, die über unsere Alltagsrealität hinausreicht. Sie kann Brücke sein zwischen dem Unfaßbaren und der Realität. Als tiefenpsycholo-gische Methode (Strobel, Hupmann 1978) kann Musiktherapie vor allem
über Klang und Rhythmuserfahrungen an frühe symbiotische und sogar embryonale Erfahrungen heranführen. Schwingung, Klang, Rhythmus, Resonanz (Konsonanz, Transsonanz, Dissonanz) Harmonie und Disharmonie sind Grundelemente des Erlebens.
Schwingung, Klang ist raumfüllend, zeitlos, grenzenlos,Gefühl (vgl. Hegi, ....). Rhythmus, Puls ist zeitliche Strucktur, Begrenzung. Rhythmus ist die Kraft, die uns zum Ankommen im
Leben drängt. Im zusammenwirken von Klang und Rhythmus entsteht Musik. Beide sind elementare und älteste sinnliche Erfahrungsweisen menschlichen Lebens: der Herzschlag der Mutter wird in der Embryonalphase als Druck empfunden und gehört, der Saugrhythmus des Säuglings an der Mutterbrust trifft sich mit dem Atemrhythmus der Mutter, der Rhythmus des eigenen Puls und Atems .
Da wo Klang und Rhythmus für unser Ohr nicht mehr hörbar sind, umgeben sie uns doch als
Schwingung. Materie, Leben ist Schwingung. Kleinste Teilchen und Moleküle haben ihre
Eigenschwingung. Pulsare im Kosmos sind Neutronensterne, die nur aus Schwingung
bestehen. Schwingung ist der Charakter der inneren Beschaffenheit von Energie, Materie,
Geist und vergleichbar, dem menschlichen Gefühl. Klang entsteht durch das
Zusammenschwingen verschiedener Töne und ihrer Obertöne. Fünf bis sechs der einfachsten
Schwingungsverhältnisse (Intervalle) werden überall auf der Welt als wohlklingend, schön,
eben harmonisch empfunden. Dieses Schwingungsverhältnis findet sich in vielen
Entsprechungen des Mikro- und Makrokosmos wieder, bildet die Grundlage von Ästhetik und
Harmonie in Kunst, Musik, Architektur (vgl. Behrendt, Nada Brahma). Ganzheit, Einssein,
Harmonie, Polarität und Disharmonie sind die als Qualität empfundene und erlebte Quantität
(Kommentar [HS1]: Die Komponenten (vgl. Hegi...) Melodie, Dynamik, Form beziehe ich hier nicht ein. Sie sind zusammensetzungen von Klang und Rhythmus. Sie haben nicht die archetypische Kraft wie Klang und
Rhythmus.) dieses Schwingungsverhältnisses. Die Urerfahrung menschlichen Seins ist Schwingung, die
wahrgenommen wird in einer vorbewußten Weise, noch bevor das Ohr als zentrales Organ im
Mutterleib ausgebildet ist. Die Welterfahrung des ungeborenen Säuglings im Mutterleib ist
Schwingungserfahrung. Der ganze Organismus befindet sich in stetiger Eigenschwingung und
ist gleichzeitig Resonanzkörper, der mitschwingt mit der Vielfalt umgebender Impulse,
Bewegungen, Rhythmen, Geräusche, Klänge, Töne und dem was unausgesprochen,
atmosphärisch in der Luft liegt. Das vorbewußte ozeanisch, symbiotische Dasein des
Ungeborenen im Mutterleib, ist als Ganzheit, Einheit erlebte Schwingung. Störungen sind
Disharmonien, eine andere Grundschwingung bricht die Einheit gewaltsam auf, schafft
Unwohlsein, Chaos, die Erfahrung des Herausfallens, Getrenntseins, Verlorenseins,
vorbewußte Körper- und Gefühlszustände von Angst und Bedrohung.
Monika Renz hat in ihrem Modell menschlicher Entwicklung die grundlegende Bedeutung
von Schwingung in der menschlichen Existenz, Erlebnis- und Wahrnehmungsweise
herausgearbeitet. Im Zentrum steht dabei der innere Entwicklungsprozeß von einer
ganzheitlichen, ungeschiedenen, vorbewußten Seinsweise (frühester embryonaler Zustand) bis
zur „Ich-bezogenen Seinsweise“.(Renz, S.41ff). Entscheidend dabei ist, daß Entwicklung hier
in Anlehnung an D. Stern als Entwicklung und Differenzierung der Wahrnehmungsweise
beschrieben wird Urvertrauen und Urangst, die beiden Pole die in menschlichem Fühlen und
Erleben mitschwingen, werden in diesen frühen Erfahrungen von Ganzsein, Einssein,
Harmonie oder Erfahrungen der Disharmonie, der Bedrohung und dem Herausfallen geprägt.
Schwingungen, Störungen die das Ungeborene immer wieder nicht integrierbaren,
überfordernden Disharmonien „aussetzen“, bringen die Eigenschwingung durcheinander,
bringen sie in Disharmonie, lassen die disharmonische Schwingung der Urangst stärker
werden als die harmonische Schwingung des Urvertrauens.
An dieses vorbewußte menschliche Grunderleben knüpft die therapeutische Arbeit mit Klang und Rhythmus an. In der musiktherapeutischen Arbeit mit Klang und klanggeleiteter Trance haben sich als
besonders Wirkungsvoll archaische monochrome Klänge erwiesen. Die Klangarchetypen des
Monochord, Didgeridoo, Gong, der Klangschale und Ocean Drum, aber auch Rassel und
Trommel knüpfen an grundlegende Schwingungserfahrungen des „Drin-seins“, Einsseins, der
Fülle und des Mangels, der Harmonie und Disharmonie an. Je nach Biografie und
individuellem Entwicklungsprozeß aktualisieren sie diese Grunderfahrungen auf der Folie der
gegenwärtigen Lebenssituation. Sie bieten sich als Projektionsfläche an und lösen angenehme
und unangenehme Empfindungen und Gefühle aus, Ängste, Verlassenheitsgefühle, Unruhe,
Entspannung, Geborgenheit, ... In der klanggeleiteten Trance können sie sich symbolisch,
emotional und körperlich reinszenieren und erinnert werden. Sie haben kathartische Wirkung
und können im geschützten Raum korrigierende Neuerfahrungen ermöglichen. Darüber
hinaus bringen sie uns mit „vergessenen“ oder noch nicht gekannten Ressourcen in Kontakt,
und sie können uns in vollkommen neue Erfahrungsräume und Bewusstseinsfelder führen, die
unseren biografischen Horizont überschreiten (Transpersonal). Die Erfahrungen der
Klanggeleiteten Trance liefern so Material für den im engeren Sinne therapeutischen und im
weiteren Sinne biografischen und spirituellen Entwicklungsprozeß.
In folgender Skizzierung einiger Klangarchetypen beziehe ich mich auf die Arbeit von
Wolfgang Strobel (Strobel, W.,in Schroeder W.C.:Musik – Spiegel der Seele.Paderborn 1995; darin: Grenzzustände der
Musiktherapie, S. 281-308), auf eigene Erfahrungen, die ich selbst in vielen Klangreisen machen
konnte und die zahlreichen Erfahrungen und Rückmeldungen von Klienten und
Seminarteilnehmern. Am Beispiel dieser Klangarchetypen möchte ich gleichzeitig
Möglichkeiten der Anwendung dieses Mediums aufzeigen.
Ocean-Drum
„Ich bin die Welle, du bist das Meer. Ich bin die Welle, mach mich zum Meer.“ So lautet ein
Mantra einer Kriya-Yoga-Gemeinschaft. Dieses Lied beschreibt etwas von der Sehnsucht,
dem Fühlen und Erleben, aber auch vielleicht der Bedrohung der Auflösung, die uns im Klang
der Ocean Drum begegnen können. Der Klang der Ocean Drum bringt uns in Kontakt mit
dem Grenzenlosen, Unstrukturierten, Formlosen und Unendlichen. So wie das sogenannte
weiße Rauschen aus der Summe aller Frequenzen entsteht, nährt sich der Klang der Ocean
Drum aus der Fülle von Klangfrequenzen, hebt deren Grenzen auf, auch wenn er physikalisch
nur eine schwache Annäherung an das weiße Rauschen darstellt. Im Klang der Ocean-Drum
begegnen wir dem Loslassen, Geschehen-Lassen, Nicht-Tun, als Gegenpol zum aktiven
„Machen-Wollens“, Tun. Der Archetypus dieses Klangs bringt uns in Resonanz mit dem, was
Lao-tse das Tao nennt3: das Tao ist ewig und ohne Tun. Sein Abbild ist das Wasser. Sein Weg
ist stets der Weg des Tals. Es ist der „Grund des Seins“, der „Geist der Tiefe“, das „ewig
Weibliche“, „die Wurzel von Himmel und Erde“, „endlos drängt’s sich und ist doch wie
beharrend. In seinem Wirken bleibt es mühelos“.
Ein Klang ist weder gut noch schlecht. Erst die Art und Weise, wie wir uns aufgrund unserer
aktuellen Lebenssituation und unserer Vorerfahrungen, unseres „Skript’s mit ihm
auseinandersetzen, auf ihn reagieren, ihn annehmen, aufnehmen oder in den Widerstand, die
Abgrenzung oder Blockierung gehen, bestimmt unser Erleben und unsere Erfahrung mit ihm:
„Zunächst gefällt mir das Rauschen nicht, es kommt mir
oberflächlich vor. Dann kommen leise, dunkle Töne auf, wie
Grollen, davon hätte ich gern mehr. Aber dann ist nur das
Rauschen da, das mich wie in eine Spirale zieht; immer wieder
sind da Spiralen, die mich fortziehen. Und mir fällt auf, wie
sich die Geräusche in hautempfindungen fortsetzen:ein
strömendes prickeln auf der Haut. Dann befinde ich mich an
einem Wasserfall im Wald und lasse mich berauschen.
Zwischendurch höre ich wieder ein Grollen, wie ein fernes
Gewitter und ich frage mich, ob das die Eisenbahn oder ein
Gong ist, ob es zufällig oder Gewollt ist?“
„Ich lag auf dem rechten Ohr. Mein linkes Ohr wurde zu einem
riesengroßen Trichter, der nicht körperlich war, sondern sich
wie eine drehende Schnecke als Klangspirale in mir zentrierte.
Mein Standort war mehr hinten in einer überdimensionalen
Muschel. Weiß und milchig durchschimmernd, die sich vor mir
öffnete. Ich blickte durch die kilometerweite, doch relativ
weite Öffnung auf einen zartblauen Himmel, dunstig wie über
dem Meer. Es war ein erhabenes Gefühl in diesem wundersamen
Raum, durch die Energie der Spirale gefüttert, soviel
Klarheit. Eine Sehnsucht mehr von dem zarten Blau zu sehen,
näher zu dem Rand zu kommen.
Ein Klient, der in seinem Leben und durch die Art seines Berufes noch gefördert, sehr
rational, kontrolliert die Seite des Machen-wollens betont, erlebt die Ocean-drum als
bedrohlich auflösend. Sie lässt ihn unruhig werden. Er löst sein Dilemma indem er versucht
den Charakter des Klangs und meine Spielweise zu analysieren.
Während der Eine den klang der Ocean-Drum als beglückend und die Erfüllung seiner
Sehnsucht erfährt, bedeutet er für die Andere Bedrohung, Unruhe... Was das Erleben konkret
in der aktuellen Lebenssituation und auf dem Hintergrund der eigenen Biografie bedeutet
(Integration), kann dann mit unterschiedlichen Mitteln (Malen, Gestaltarbeit Gespräch,...) im
Einzelsetting wie in der Gruppe herausgearbeitet werden. Wichtig für den Therapeuten,
Seminarleiter ist die Klärung der Frage, welche „innere Erfahrung“, „Thematik“ will ich
„zum Klingen“ bringen oder entspricht dem momentanen Prozeß.
Monochord
Dem Archetyp der Ocean-Drum verwandt und doch ganz anders ist das Monochord.
Das Monochord auf einen Grundton gestimmt, läßt beim Spielen die natürlichen Obertöne
wahrnehmbar werden.Sein sphärisch schwebender Klang löst häufig Gefühle ozeanischer
Selbstentgrenzung aus, die als himmlisch, paradiesisch, schwereloses Schweben im Wasser
oder All beschrieben werden (vgl. Strobel, in Schroeder,W.; 1995, 285). Es wird als ein
Getragen-sein, Aufgehoben-sein und Verbunden-sein mit allem wahrgenommen. Dieses
Erleben erzeugt Bilder vom glücklich sein in der Natur, der Verliebtheit oder religiöser
Erfahrungen. Durch Monochordklänge ausgelöste Altersregressionen lassen die Annahme zu,
daß der Säugling beim Stillen Ähnliches erlebt, oder das ungeborene Kind in der frühen
intrauterinen Zeit, wenn sie positiv erlebt wurde (vgl. Strobel ebd.). Wenn in dieser
Entwicklungsphase die symbiotische Einheit zwischen Mutter und Kind gestört ist, wird der
Klang des Monochord auch als unangenehm erlebt, was sich in Unruhe äußern kann, in
unangenehmen körperlichen Empfindungen, bis hin zu Angst und Fluchtimpulsen.
Ein Klient, der in seinem Alltag immer wieder mit seiner eigenen Aggression konfrontiert
wurde, in seinem Leben wenig Erfahrungen der Geborgenheit, des Vertrauens oder Gehalten
werdens machen konnte, wünscht sich zunehmend mit seiner weichen Seite in Kontakt zu
kommen. In einer Klang geleiteten Trance mit dem Monochord kamen Erinnerungen, Bilder
einer tiefen Freundschaft, die ihn mit einem gleichaltrigen Mädchen verband, als er 17 Jahre
alt war. Es war keine sexuelle Beziehung, sondern für ihn die erste Erfahrung einfach da sein
zu können, ohne Angst und Mißtrauen, sich angenommen zu fühlen, ohne daß damit
irgendwelche Vorderungen oder Bedingungen verknüpft waren. Er beschreibt dies als die
einzige Zeit in seinem Leben, in der er das erfahren habe. In der Trance erlebt er Gefühle aus
dieser Zeit wieder und er ist hinterher entspannt und spricht viel über die Zeit.
Zu Beginn einer anderen Stunde spricht er wieder über sein Bedürfnis seine weiche Seite
mehr zulassen und im Kontakt mit anderen leben zu können. Er wirkt im Gespräch sehr
bedürftig. Im Verlauf des Gesprächs halte ich ihn an, seinem augenblicklichen Impuls
nachzuspüren. Er möchte passiv sein, sich hinlegen und wünscht sich einen Klang. Ich
schlage das Monochord vor und er geht darauf ein. Nach einiger Zeit wird er unruhig. Er kann
sich auf das Klangerleben nicht einlassen. Es wird zu bedrohlich für ihn. Ich Spiele sanfte und
wenige Töne auf einem Metallophon, das auch einen sehr schwebenden sphärischen Klang
hat, aber allein durch die wenigen Töne Struktur gibt und damit Sicherheit. Er entspannt sich
und kann diese Klänge genießen. In der Trance erlebt er ein Telefonat mit seiner Großmutter.
Sie will die Kinder. Er verneint dies ohne eine weitere Begründung abzugeben und beendet
das Telefonat. In der Trance ist ihm eine klare Abgrenzung zur Großmutter gelungen. Im
weiteren Verlauf der Klangtrance taucht das Bild eines Affen auf, der auf allen Vieren geht,
sich nach und nach immer mehr aufrichtet und zum Mensch wird. Dazwischen tauchen Bilder
von seinen Kindern auf, wie sie wachsen. Im anschließenden Gespräch über sein Erleben
beziehe ich das Bild auf seinen eigenen inneren Prozeß, die Integration der ursprünglich
animalischen Aggression und Kraft ins Menschliche.
In einer Seminargruppe zum Thema „Sehnsucht nach Sinn“ holen wir Früherinnerungen ein,
die für die einzelnen Teilnehmer Erfahrungen von erfüllter „Sinnenhaftigkeit“ beinhalten. Wir
arbeiten mit diesen Erinnerungen orientierungsanalytisch in der Gruppe. In einer bestimmten
Phase des Prozesses setzen wir zur Vertiefung des Erlebens das Monochord ein.. Die
Teilnehmer berichten von Bildern und Erfahrungen wie „ich sah und fühlte mich als Säugling
im Kinderwagen unter einem blühenden Baum, verbunden mit allem um mich herum, ganz
Geborgen und in Sicherheit“, „ich badete in einem Meer von Farben und Klängen, „ich habe
ganz tiefe Entspannung und Geborgenheit erlebt“, „...es war, als ob ich im Himmel
schwebte,..“.
Gong
Auch der Gong (chinesischer Gong) ermöglicht mit seinem Klang das Erleben biografischer
Themen bis hin zu tiefen spirituellen und transpersonalen Erfahrungen. In seinem Klang
begenet uns der Archetyp des Vaters in seiner umfassenden Ambivalenz. In der
Klanggeleiteten Trance, ausgelöst durch eine dichte Abfolge von Schlägen, die einen
konfluierenden Klang mit stetig wechselnden Obertönen entstehen läßt, werden oft Bilder von
Geburt und Tod erlebt, aber auch von Auflösung, Gewalt und absoluter Zerstörung. Dann
wiederum wird sein Klang als tragend und bergend erlebt, oder aktiviert Energie und Kraft.
Wolfgang Strobel ordnet ihn, ohne ihn festzulegen, dem Themenkreis Wandlung, Durchgang,
Krisis, Transformation zu.
In einem mehrtägigen Seminar mit Männern arbeiteten wir Bibliodramatisch zu der
Geschichte „Jakobs Kampf mit dem Engel“. Jakob kämpft in dieser Geschichte eine ganze
Nacht mit einem Engel auf Leben und Tod. Als es Morgen wird flieht „der Unbekannte“
Jakob hält ihn fest und zwingt ihn seinen Namen zu nennen. Der schlägt ihn auf die Hüfte.
Jakob behält von da an ein Hüftleiden, er ist ein gezeichneter, und jetzt findet er zu seinem
Namen: „Israel“, „der mit Gott Ringt“. Es ist eine Initiation. Hier ermöglicht uns der Klang
des Gong in einer bestimmten Phase der Arbeit diesen Kampf Jakobs nachzuerleben. So, daß
es jeweils der eigene Kampf eines jeden Mannes mit seinem „Engel“ wird, den er in der
einstündigen Gongtrance erlebt. Es sind Erfahrungen von Angst, Mutlosigkeit, Zerstörung,
die sich wandeln in die Erfahrung von Kraft, Geborgenheit, Erfüllung und Glück. Es ist für
uns auch eine tiefe gemeinsame Erfahrung von Männlichkeit und Mann sein.
Die Beispiele die ich hier angeführt habe beschreiben nur einen Ausschnitt der Möglichkeiten
dieser Arbeit. Es fehlen noch die typisch schamanischen Trommel- oder Rasselreisen, oder
die „Geisteraustreibung“, die sich wunderbar in orientierungsanalytische Gruppenarbeit zu
„Neu-Entscheidungen“ integrieren läßt, sehr tief und wirksam ist und sehr viel Kraft, Energie
und Lust vermittelt. Entscheidend für diese Arbeit ist für den Therapeuten oder die
Gruppenleiterin ein hohes Maß an Selbsterfahrung um die Kraft und Wirkung der
Klangarchetypen einschätzen zu können und die Sicherheit mit den ausgelösten Prozessen
und dem auftauchenden „Material“ arbeiten zu können.